Sehr geehrter unbekannter Autor,

Auf gotische Spuren in Südtirol bin ich bei der Lektüre etlicher Bücher gestoßen - im Ultental etwa sind, wie ich einmal gelesen habe, Flurnamen offenkundig gotischen Ursprungs zu finden. Der Altmeister der bayerischen Geschichtsschreibung, Benno Hubensteiner, schreibt so treffend: "Das Volk um Etsch und Gardasee aber war erfüllt vom Ruhm eines Dietrich von Bern, des gotischen Helden der bayerischen Alpenländer. Allein Tirol bringt ein rundes Dutzend von Dietrich-Epen, eines mit dem anderen verwoben, so dass man darüber fast glauben möchte, die Ostgoten hätten sich wirklich zu ihrer Rettung in die Alpentäler geworfen und die Sarntaler oder Passeirer wären die Letzten von König Tejas Heer." (S. 82 unten in der Jubiläumsausgabe von 1980 "Bayerische Geschichte. Staat und Volk, Kunst und Kultur".) Ich bin Journalist, von der Ausbildung her Jurist und habe an einem Lehrstuhl für Rechtsgeschichte gearbeitet. Archäologie ist mein Hobby und meine Leidenschaft. Ich konnte einmal bei der Ausgrabung des Grabes eines Goten dabei sein, der in der Zeit, als die Herrschaft über Alt- und Niederbayern von den Goten leider auf die Franken überging. Der Fund wurde in Straßkirchen (Landkreis Straubing-Bogen) gemacht. Herausgekommen ist aus der mir eigenen Mischung von Journalismus und Archäologie u. a. ein Museumsführer (Titel: Schlüssel zur Geschichte) eines ganz schmucken Heimatmuseums in Altdorf bei Landshut, der Hauptstadt Niederbayerns. Ich habe Ihnen aus dem rund 60-seitigen Text von mir über die archäologische Abteilung des Museums einige Passagen herauskopiert, die sich auf Theoderich beziehen, an dessen Residenzort Ravenna ich mit meiner Familie wiederholt Urlaub gemacht habe - auf dem Hin- oder Heimweg nach Niederbayern haben wir (Camper/Ferienhäusler und Caravaner) stets in Verona (Bern mit der Darstellung Theoderichs am Dom San Zeno) und in Südtirol Station gemacht (z. B. am Kalterer See, in Bozen zur Besichtigung des herrlichen Ötzi-Museums). In dem - einzigartigen - Südtiroler Vorgeschichtsmuseum in Bozen ist zu meinem Leidwesen ein kleiner Teil wirklich nicht auf dem Stand der Forschung: Es ist der Text ganz am Ende des Rundgangs, in dem von den Bajuwaren die Rede ist. Hier die Passagen aus dem Museumsführer - mit herzlichen Grüßen in mein geliebtes Südtirol, das Rückzugsgebiet der letzten Goten: Ihr Elmar

 

Stöttner

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Elmar Stöttner

Altdorf – eine Schatztruhe der Archäologie Wir betreten den Keller des Adlhoch-Hauses und wenden uns nach links. Es sind nur wenige Meter, die wir im Uhrzeigersinn zurücklegen – aber auf diesem kurzen Weg wandern wir durch sieben Jahrtausende bayerischer Kulturgeschichte. Vitrinen, Schautafeln usw. sind jeweils mit einem Buchstaben des Alphabets bezeichnet: Vor uns liegt die Vor- und Frühgeschichte Altdorfs von A bis Z. Sie ist stets ein Spiegel des Menschlichen – und gelegentlich ein Abglanz des Göttlichen. Noch in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts war Niederbayern auf der Karte der Archäologen ein großer weißer Fleck mit einigen wenigen Punkten, die ein paar Fundstellen markierten. Dass Niederbayern so wenig erforscht war – das war eine direkte Folge der geschichtlichen Entwicklung in den letzten 500 Jahren. Im Mittelalter, also dem Jahrtausend von etwa 500 bis 1500 n. Chr., war das bayerische Unterland das Kraftzentrum Bayerns. Die heutige Bezirkshauptstadt Landshut war die Hauptstadt zunächst ganz Altbayerns und dann gut 250 Jahre lang Herrschaftszentrum des Teilherzogtums Bayern-Landshut, eines reichen, wirtschaftlich blühenden und kulturell führenden Landstriches. Ein erbitterter bayerischer Bruderkrieg leitete den Niedergang ein: der Landshuter Erbfolgekrieg 1504/05. Die niederbayerische Herzogslinie starb aus, die politischen und wirtschaftlichen Schwerpunkte Bayerns verlagerten sich nach München und nach Oberbayern. Niederbayern geriet in den Schatten der Geschichte, wurde für lange Zeit zu einem der „Armenhäuser“ Deutschlands. Diese Zeit, die heute schon wieder längst Vergangenheit ist, verstellte lange den Blick auf das ungemein reiche historische Erbe Niederbayerns. Wegen seiner fruchtbaren Lössböden, wie wir sie auch rund um Altdorf finden,war das bayerische Unterland jahrtausendelang eines der am dichtesten besiedelten Gebiete Europas. In Niederbayern ließen sich vor fast acht Jahrtausenden die ersten Bauern Mitteleuropas nieder, die Linienband-Keramiker (5700 bis 5000 v. Chr.). Hier wurden um 4800 v. Chr. große, kreisförmige Sonnentempel-Anlagen errichtet: Woodhenges nennen die Archäologen solche Rondelle, in Anlehnung an einen Fundort im Süden Englands, wo erstmals ein ähnlicher aus Holz (englisch: wood) gebauter Tempel entdeckt worden ist. Eine Kultur folgte auf die andere – aus allen Epochen der Vorgeschichte gibt es herausragende Funde aus Niederbayern. Um 450 v. Chr. war Niederbayern eines der Kerngebiete der Kelten, die in alle Himmelsrichtungen ausschwärmten und halb Europa eroberten. Bald nach der Römerzeit, etwa um 500 n. Chr., waren bäuerliche Siedlungen wie die Dörfer im Altdorfer Pfettrachtal Keimzellen eines neuen Volkes – der Bajuwaren, die dieses Land tief durchtränkt haben mit ihrer Kultur. Im Reich des Ostgoten-Königs Theoderich des Großen und unter Beteiligung der Goten ist hier in Altbayern ein Volk von unverwechselbarer Identität entstanden. Dank der Goten sind Bayern, das heutige Österreich und Südtirol zu germanischsprachigen Gebieten geworden – und Teil der deutschen Geschichte, die damals ihren Anfang nahm. Im Keller des Museums Adlhoch-Haus wird die Vor- und Frühgeschichte von Altdorf greifbar und erfahrbar: Dr. Bernd Engelhardt, der Leiter der Landshuter Außenstelle des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (LfD), hat die archäologische Abteilung gestaltet – gemeinsam mit Georg Waldemer und Rudolf Werner von der Landesstelle zur Betreuung der nichtstaatlichen Museen, die mit großartigem Engagement ans Werk gegangen sind. Engelhardt hat auf wenigen Quadratmetern ein einzigartiges Bild des Lebens in 7000 Jahren Altdorfer Geschichte geschaffen: ein Mosaik aus Funden, Karten, Fotos und Erläuterungen, die gleichwohl Platz lassen für die eigene Phantasie und die Gedanken an die Menschen, die hier vor Jahrtausenden gelebt und gelitten haben, geweint und gelacht …

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Das Volk der Bayern: Das Vermächtnis Theoderichs

In der Spätantike hatte Altbayern im Schatten der geschichtlichen Entwicklung gelegen. Aber nun, nach der Römerherrschaft und den Schrecken der Hunnenzeit, wurde unser Land wieder zu einer Keimzelle des Neuen und zu einem Brennpunkt des Geschehens: Denn nun kommen sie, die Baiern, die diesem Land seit 1500 Jahren den Namen geben und es tief geprägt haben mit ihrer Kultur. (Die Schreibweise mit „y“ stammt übrigens aus dem 19. Jahrhundert, ist Ausdruck der Griechenland-Begeisterung jener Zeit. Mit „ai“ schreibt man Baiern heute vor allem, wenn die altbayerische Sprache, Volk oder Land gemeint sind.) Aber wer sind diese Baiern überhaupt? Über die Frage der Herkunft und Entstehungsgeschichte der Bajuwaren haben sich Generationen von Forschern die Köpfe zerbrochen. Den Schlüssel zur Lösung des alten Rätsels haben erst die Archäologen gefunden, unter ihnen Rainer Christlein. Sie haben ihn entdeckt in Gräbern im Raum zwischen Ingolstadt, Straubing, Erding und Linz und dabei vor allem auch im Tal der Isar rund um Landshut und um Landau: in Altdorf, Essenbach, Viecht und Pilsting. Unter der Herrschaft des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen wuchsen Germanen aus verschiedenen Stämmen und die keltisch-römische Vorbevölkerung zusammen zum Volk der Bajuwaren. Theoderich herrschte von 493 bis 526 über Italien, große Teile des heutigen Kroatiens und Bosniens, über Slowenien, die Provence, große Teile Österreichs und der Schweiz sowie über Bayern bis zur Donau. Seine Hauptstadt war Ravenna, wo inmitten eines früheren Gräberfeldes der Goten, damals am Meer gelegen, sein berühmtes Grabmal steht. Theoderich, der „Dietrich von Bern“ der deutschen Heldensage (Bern = Verona), wollte den Bruderkriegen unter den Germanen der Völkerwanderungszeit ein Ende setzen. Der Gotenfürst, der selber viele Jahre in Kriege und Blutrache-Fehden verwickelt gewesen war, leistete als König ein großartiges Aufbauwerk – und er schuf ein Reich, in dem Toleranz, Freiheit und Wohlstand herrschten. In Altbayern, wo entlang der Donau Elbgermanen aus Böhmen ansässig geworden waren, siedelte Theoderich Germanen aus allen Himmelsrichtungen an sowie eigene Gefolgsleute: Es kamen Goten, Thüringer – dieses Germanenvolk war eng und treu verbündet mit den Ostgoten, ihr Reich reichte damals bis an die gotische Reichsgrenze bei Regensburg –, es kamen Langobarden, Alemannen, Gepiden, Heruler, Skiren, Rugier und auch einige Franken. Rund um Landshut waren es vor allem Alemannen aus Baden-Württemberg und dem Elsass, die auf der Flucht vor den Franken waren. Das Volk und der Dialekt der Baiern, der von der Salurner Klause in Südtirol bis zum Fichtelgebirge und vom Lech bis zum Burgenland gesprochen wird – sie sind das Vermächtnis Theoderichs. Altdorf wurde zu einer der Keimzellen des Stammes der Bayern. Hier siedelten sich germanische Neuankömmlinge gerne an, weil es so fruchtbare Böden gab. Eine Rolle hat aber auch gespielt, dass die Gegend durch Fernstraßen aus spätrömischer Zeit so gut erschlossen war: Entlang der Straße am Nordrand des niederbayerischen Isartals reihen sich die ersten Dörfer der Bajuwaren auf wie Perlen an einer Kette, und allesamt liegen sie in den Gebieten mit hervorragenden Lössböden.In dem politischen Handeln Theoderichs spiegeln sich sowohl seine überragenden Fähigkeiten als Staatsmann wider als auch sein ganz individueller Charakter: Sein Volk, die Goten, hatten in den zurückliegenden fünf Jahrhunderten halb Europa durchwandert, von Skandinavien über Polen und die Ukraine bis nach Ungarn; er selbst hat seine Ostgoten aus der ungarischen Ebene zum Eroberungszug nach Italien geführt. Ihm war klar, dass Altbayern strategisches Vorfeld von Italien war. Rätien hatte bezeichnenderweise in spätantiker Zeit zur selben Diözese (Großprovinz) gehört wie Italien: Wer an der Donau durchbrach, den hielten auch die Alpen nicht mehr auf. Das hatte sich in spätrömischer Zeit wiederholt gezeigt. Der Gotenkönig durfte also hier kein Machtvakuum entstehen lassen. In Altbayern lagen zugleich viele fruchtbarste Ackerflächen brach – Land, auf dem sich unter dem Schutz der Goten viele der in den Wirren der Völkerwanderungszeit Entwurzelten ansiedeln konnten. Unter ihnen waren auch viele politische Flüchtlinge aus mehreren Germanenvölkern, die die Rache ihrer innenpolitischen Gegner fürchten mussten. Es war die Politik Theoderichs, alle Germanen aufzunehmen, die, aus welchen Gründen auch immer, unter die Räder gekommen waren, oder Opfer der Kriege geworden waren, in denen vor 1500 Jahren die Karten neu gemischt wurden auf der politischen Bühne Europas. Für diese Politik hat er auch sein Kernland Italien eingespannt: Nach Italien hat er den Großteil der Rugier und viele Alemannen geholt. Besonders auch in Altbayern hat seine Politik feste Gestalt angenommen. Es war eine Politik, mit der Theoderich den Weg der Versöhnung beschritt zwischen den Germanenvölkern, die durch die oft entsetzlichen Wirren der Völkerwanderungszeit aneinandergeraten waren. Und er suchte einen gerechten Ausgleich mit den Römern, die lange vor allem eines erfolgreich betrieben hatten – die Germanen gegeneinander auszuspielen. Theoderichs Vater Theodimir hatte noch als Untertan Attilas auf den Katalaunischen Feldern gegen seine westgotischen Vettern kämpfen müssen. Einen Brudermord nannte Theoderich diese Schlacht in einer der von ihm überlieferten Briefe: Solche Kriege wollte er für die Zukunft verhindern. Theoderich und seine Goten wollten Germanen und Römern Frieden bringen und sie grenzten insbesondere auch Minderheiten wie die Juden nicht aus: Das Germanen-Reich der Ostgoten war einer der ganz wenigen Staaten in der langen Geschichte Europas, in der die Juden ohne Wenn und Aber gleichberechtigte Bürger waren. Der Ostgoten-Staat war zugleich Kristallisationspunkt des Bündnis-Systems Theoderichs, das den Menschen in seinem Einflussgebiet eine lange Periode des Friedens bescherte, eine der längsten in der Geschichte Europas. „… der gotische Friede hat den Gotenkönig um ein Dezennium (zehn Jahre) überlebt und insgesamt mehr als vier Jahrzehnte gehalten, was man von wenigen Sicherheitssystemen sagen kann“, hat es der Wiener Althistoriker Herwig Wolfram einmal zusammengefasst. Diese rund 40 Jahre waren die Zeit, in der die Grundlagen gelegt wurden für unser heutiges Bayernland. Die Goten und ihr König Theoderich stehen am Anfang der bayerischen Geschichte, ein Volk und ein König, die sich, bei allen Fehlern, die allem Menschlichen anhaftet, in hohem Maße auszeichneten durch Redlichkeit und Gerechtigkeitssinn – einen besseren Anfang könnte sich ein Volk nicht wünschen. Auf der Grundlage der archäologischen Befunde klärt sich auch die Frage nach dem Ursprung des Namens Bayern. Der erstmals – übrigens bezeichnenderweise in einem Buch über die Geschichte der Goten – im Jahr 551 belegte Name Baiuvarii bedeutet „Leute aus Böhmen“: Der zweite Namensteil „varii“ enthält ein altes indoeuropäisches Wort, das wir wiederfinden in Welt (althochdeutsch „werald“ – „Menschenzeit“), in „Wergeld“ oder im lateinischen „vir“, Mann. Dieser Name, der sich durchsetzte, ist den Bayern wahrscheinlich von Nachbarn gegeben worden: Gemeint waren offensichtlich jene Germanen aus Böhmen („Baia“), die schon in spätrömischer Zeit ins Land gekommen waren und die besonders in der Regensburger Gegend stark vertreten waren, dem ersten bekannten Herzogssitz der bayerischen Geschichte. So wie die Franzosen uns Deutsche alle „Alemannen“ nennen und wie wir für die Finnen allesamt „Sachsen“ sind, wurden auch die Baiern nach einer ihrer Gruppen benannt. Über diesen Umweg haben die keltischen Bojer außer bei Böhmen und Bologna (siehe S. 77) auch bei der Namensgebung für unser Land Pate gestanden.